In Medien wird von einem möglichen Friedensnobelpreis für den griechischen Premier Alexis Tsipras und dem nordmazedonischen Regierungschef Zoran Zaev berichtet. Ein Ende eines Streits zwischen zwei aneinander angrenzenden Staaten ist eigentlich ein Grund zu Feiern.

Doch dazu ist Vielen in beiden Staaten nicht zumute. Zudem gibt es einen weiteren Nachbarn, Bulgarien, wo der Kompromiss zwischen Griechenland und Nord-Mazedonien Proteste hervorruft. Zudem möchte Russland keinesfalls akzeptieren, was die Regierungschefs in Athen und Skopje gemeinsam beschlossen haben.

Aus Mazedonien wird Nord-Mazedonien

Die Republik Nord-Mazedonien hatte sich bis zum Kompromiss in sämtlichen inländischen Dokumenten schlicht als Mazedonien bezeichnet. Der vorläufige, internationale Name, den der Staat nach dem Zerfall Jugoslawiens mit einem Kompromiss der Neunziger Jahre erhielt, war das komplizierte Wortungetüm Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, kurz EJRM, auf Englisch FYROM und auf Griechisch PGDM abgekürzt. Die Bewohner des Landes hießen überall kurz Mazedonier, nur nicht in Griechenland, wo sie nach ihrer Hauptstadt „Skopianoi“ genannt wurden. PGDMiten wäre selbst den eingefleischtesten Gegnern des Namenskompromisses niemals als Bezeichnung eingefallen.

Für die Bewohner Nord-Mazedoniens muss der Kompromiss als ein Rückschritt einer sieben Jahrzehnte langen Praxis der Eigenbezeichnung erscheinen. Die Nord-Mazedonier sind in der denkbar schlechten Lage, ohne einen verlorenen Krieg und auch ohne Staatspleite - auf Anweisung ausländischer Mächte - nun ihren verfassungsmäßigen Namen und die Verfassung selbst ändern zu müssen.

Sie heißen allerdings auch mit dem Prespes-Vertrag kurz Mazedonier. „Nationality: Macedonia“ soll in den Personalausweisen und Pässen des Landes stehen, setzt das Dokument von Prespes fest. Hierüber gab es in Griechenland eine epische Debatte, wie das englische Wort „nationality“ zu interpretieren sei. Die Gegner der Einigung sahen es als gleichbedeutend mit der Definition des ethnischen Ursprungs und bemängelten, dass der griechische Premierminister stattdessen auf den Terminus „citizenship“ bestanden haben müsste.

Nationality oder Citizenship

Ein Blick in einen Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland zeigt, dass auch dort „Staatsbürgerschaft/ Nationality / Nationalite“ eingetragen ist. In griechischen Ausweisen steht ebenfalls „Hellenic Nationality“ bei der Angabe der Staatsbürgerschaft. Es liegt somit nahe, zu vermuten, dass im internationalen Gebrauch der Ausweispapiere für die Staatsbürgerschaft der englische Begriff „nationality“ verwendet wird, denn sowohl in Deutschland als auch in Griechenland gibt es eingebürgerte Doppelstaatler. Niemand würde davon ausgehen, dass dieser Personenkreis hundertprozentig seine ethnischen Wurzeln im Staat der Ausstellung des Personalausweises hat.

Niemand? Ausgerechnet die Rechtsextremen, die Rechten und die konservativen Zentrumspolitiker, die ansonsten in öffentlichen Stellungnahmen zu einer eingebürgerten Person gern kritisch auf den ethnischen Ursprung verweisen, redeten stundenlang im Fernsehen und im griechischen Parlament über die von ihnen nun postulierte Identität von Staatsbürgerschaft und ethnischem Ursprung.

Als Argument für ihre Standpunkte verwies diese Seite oft auf die Übersetzungen, welche Google zu den Begriffen anführt. Es wird übersehen, dass in einschlägigen juristischen Abhandlungen, der englische Terminus „citizenship“ in der Regel für die juristischen Belange eines Bürgers zu seinem Staat eingesetzt wird, während mit „nationality“ die Staatsbürgerschaft als solche behandelt wird. Für die Argumentationskette der Ablehnenden diente zudem der von der EU für die in ihrem Gebiet wohnenden Bewohner verwandte Begriff „citizenship“. Zumindest in diesem Punkt, dem EU-Citzenship, werden Griechen und Nord-Mazedonier gemäß dem Vertrag von Prespes bald gleichgestellt sein. Denn der Vertrag vermerkt explizit, dass er auch zum Beitritt in die europäische Staatengemeinschaft dienen soll.

Hierbei muss Griechenland in Zukunft sowohl für eine NATO-, als auch für eine EU-Mitgliedschaft Nord-Mazedoniens nicht nur auf Einwände verzichten, sondern vielmehr entsprechende Anträge nach besten Kräften fördern.

Die Väter des Vertrags haben übersehen, dass es mit Bulgarien ein EU- und NATO-Mitglied gibt, dem ein Teil des Vertrags eigenen Interessen entgegensteht. Denn die geographische Region Mazedonien, so wie sie definiert wurde, umfasst neben dem nun neu getauften Staat und dem größten Teil Nordgriechenlands auch ein kleines, in bulgarischem Staatsgebiet liegendes Stück.

Die Bulgarien goutieren nicht, dass die Nord-Mazedonier nun Mazedonisch sprechen, und nicht - wie von ihnen postuliert - einen bulgarischen Dialekt. Sie selbst haben auch geschichtlich begründete Ansprüche. Zudem kann ein früherer Bündnispartner der Bulgaren dem Vertrag kaum etwas Positives abgewinnen. Die Russen sehen mit dem neuen NATO-Mitglied Nord-Mazedonien, das sie selbst schlicht als Mazedonien anerkannt haben, einen weiteren Baustein im US-Imperialismus.

Kaputte Parteien in den Parlamenten

In Nord-Mazedonien zerbrach die nun oppositionelle VMRO-DPMNE, weil Zaev Abweichler benötigte, um den Kompromiss im Parlament von Skopje durchs Parlament zu bringen. Der frühere Premier, Nikola Gruevski, floh aus dem Land. Dass es dabei um Abhörskandale und den Missbrauch öffentlicher Gelder ging, ist für all jene irrelevant, die in Gruevski eine Gallionsfigur gegen den Vertrag von Prespes sehen. Gruevski kam mittels eines von ihm nie beantragten Reisepasses Bulgariens und ungarischer diplomatischer Hilfe via Albanien, Montenegro und Serbien nach Ungarn, wo er politisches Asyl erhielt. Der dortige Regierungschef Viktor Orban sieht den Kompromiss im Namensstreit auch kritisch und fühlt sich Gruevski verbunden.

Zudem musste Zaev in Nord-Mazedonien bei den Vertretern der albanischen Minderheit um Unterstützung werben. Inwieweit er dabei den übrigen Forderungen der Minderheit, die sich selbst als ethnischer Bevölkerungsteil Nord-Mazedoniens sieht und Albanisch als Muttersprache hat, entgegenkommen musste, wird sich noch zeigen. Zaev hat den Kompromiss - anders als Tsipras - mit einer Zweidrittelmehrheit durchs Parlament gebracht. Präsident Gjorge Ivanov weigert sich beharrlich, die Verfassungsänderungen und den Vertrag von Prespes zu unterschreiben. Ein Referendum zur Frage des Kompromisses scheiterte in Nord-Mazedonien wegen der zu geringen Wahlbeteiligung.

In Athen zerbrach die Regierungskoalition von SYRIZA und den Unabhängigen Griechen. Tsipras besorgte sich mit Transfers vom buchstäblich zerlegten Koalitionspartner sowie aus Reihen der übrigen Koalitionsparteien die für seine Regierung benötigten Stimmen. Dabei verliert sein nun wieder offen rechtsextrem auftretender früherer Bündnispartner Panos Kammenos für seine Unabhängigen Griechen den Fraktionsstatus im Parlament, weil er zu wenig Abgeordnete übrig hat.

Kammenos hatte sich aus Reihen der unabhängigen Abgeordneten im Parlament einen Ersatzmann besorgt, um die magische Zahl von fünf Parlamentariern zu halten, aber Parlamentspräsident Nikos Voutsis fand im Kleingedruckten der Parlamentsordnung einen auslegefähigen Passus. Demgemäß müssen die Abgeordneten einer Fraktion mit dieser ins Parlament gewählt worden sein, um für die Fraktionsrechte zu zählen.

Kammenos tritt nach

Damit wären die Unabhängigen Griechen als Fraktion Geschichte, sobald Thanassis Papachristopoulos sein Mandat niederlegt. Der Unabhängige Grieche Papachristopoulos hatte sowohl für das Vertrauensvotum von Tsipras gestimmt, als auch dem Vertrag von Prespes seinen parlamentarischen Segen gegeben. Eigentlich müsste Kammenos ihn aus der Fraktion ausschließen. Dann aber hätte er keine fünf mit ihm ins Parlament gewählte Abgeordnete mehr. Papachristopoulos selbst möchte nicht der Grund für das Aus seiner (früheren) Partei sein. Er könnte vom Mandat zurücktreten, aber dann wäre Terence Spencer Quick Nachrücker.

Quick ist Staatsminister im Außenministerium und erhielt diesen Posten im September 2015 nach den vorgezogenen Neuwahlen, bei denen er sein Abgeordnetenmandat verlor. Er wurde von Tsipras und nicht von seinem Parteichef berufen und fühlt sich nur ihm verbunden. Nun, im Nachhinein, präsentierte Kammenos dies bei seiner Parlamentsrede zum Prespes-Vertrag als Komplott.

Darüber hinaus packt Kammenos nun aus und plaudert über Internas der Regierung Tsipras. Kammenos schmetterte seinem früheren „Freund Alexis“ von der Rednerkanzel des Parlaments entgegen, dass dieser mit verfassungswidrigen Eingriffen in die Justiz Staatsanwälte steuern würde. Wer sich als Richter oder Staatsanwalt nicht den Befehlen fügt, wird entlassen, ließ Kammenos die Parlamentarier wissen.

Andere Politiker aus zerlegten Parteien spekulieren über Geldbeträge oder Posten, die eventuell im Gegenzug für ein Votum gegeben wurden. Grigoris Psarianos, bislang von To Potami, nutzte für diese als humorvolle Spekulationen verpackten Anschuldigungen das Fernsehen. Andere wählten den offizielleren Weg über die Parlamentsrede.

Bewiesen ist in diesem Zusammenhang noch nichts. Die immer mehr fanatisierten Gegner der Einigung kann so ein Detail des fehlenden Beweises jedoch auch nicht mehr beruhigen. Häuser von Abgeordneten, die für den Kompromiss stimmten, wurden Ziele von Brandanschlägen. Bei Demonstrationen gegen den Kompromiss kam es zu tätlichen Angriffen auf Journalisten, Fotografen und Kameraleute. Knüppelschläge gegen die Köpfe der Medienmitarbeiter lassen nichts Gutes erahnen. Es scheint eine Frage der Zeit zu sein, wann es den ersten Toten gibt.

Außer den Unabhängigen Griechen wurde auch die Fraktion von To Potami im Parlament zerlegt. Denn zwei der Abgeordneten wollten den Kompromiss ablehnen und traten sukzessive aus. Parteichef Stavros Theodorakis blieb mit nur noch drei von ursprünglich elf gewählten Mitstreitern zurück.

Psarianos, der mit markigen Worten aus seiner Partei austrat, weil er anders als sein Parteichef nur die Ablehnung des Vertrags als politisch richtigen und verantwortungsvollen Schritt bewertete, stimmte im Plenum schließlich mit Enthaltung. Die humoristisch gelungenste Kommentierung dieses Surrealismus gelang der satirischen Webseite „to vatraxi“. Sie meldete, „der Vertrag von Prespes passierte mit 153 gegen 146 Stimmen und einem YOLO das Plenum“. YOLO, im Slang der Jugend für „you only live once“ (du lebst nur einmal), steht für die unerträgliche Leichtigkeit, mit der die Jugend sich ihrer Verantwortung übernimmt. Die Jugendlichen benutzen YOLO oft selbstironisch, wenn sie sich über eigenes Versagen oder eigene Unachtsamkeit selbst aufs Korn nehmen.

Das griechische Parlamentsgesetz sieht vor, dass zur Wiedererlangung des Fraktionsstatus mindestens zehn Abgeordnete nötig sind. Eine Auferstehung der zerschlagenen Fraktionen ist nun kaum mehr möglich. In der Praxis heißt dies, dass die Wähler, die den betroffenen Parteien die Stimme gegeben haben, nun in ihrer Handlungsfähigkeit und Redezeit nur noch eingeschränkte Vertretungen im Plenum haben. Tsipras selbst regiert derweil - auch wegen 50 über das Wahlrecht erlangten Bonusmandaten - munter weiter.

Es ist eine politische Ausnahmesituation, in der sich die Fronten in beiden betroffenen Staaten immer mehr radikalisieren. Beide Regierungschefs haben nach dem Motto „der Zweck heiligt die Mittel“ den Kompromiss mit Tempo vorangetrieben.

Die Beilegung des unsäglichen, für westliche Beobachter bizarren Namensstreits ist für Griechen und Nord-Mazedonier (noch) kein Grund zum Feiern. Sie soll der Stabilität in der Balkanregion dienen - sorgt aber momentan für Chaos und Instabilität.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"